Ausbeutung freier Journalisten

Wer sich heute für den Journalistenberuf entscheidet, sollte sich die real existierende Medienszene genau anschauen. Immer mehr Verlage entlassen massenweise Redakteure, sourcen aus oder machen gleich ganz zu. Nun will der Verlegerverband die Gehälter aller neu eingestellten Redakteure um 30 % senken. Die Gewerkschaften laufen Sturm dagegen, und es bleibt abzuwarten, wie die Preise am Ende aussehen werden.

Noch brutaler gehen viele Verlage jedoch mit ihren freien Autoren und Fotografen um, die Honorarsätze stürzen ins Bodenlose, vom Wort allein kann so gut wie kein Schreiber mehr oberhalb des Existenzminimums leben, geschweige denn eine Familie ernähren.

Zur Veranschaulichung poste ich heute einen aktuellen Mailwechsel zwischen einem Zeitschriftenverlag und mir. Die Redaktionsleiterin schrieb gestern (5. Juli 2011) an alle freien Mitarbeiter:

Liebe Kollegen und Partner,

ab September haben wir ein weiteres Kundenmagazin übernommen. Sxxxxxxxx wird vier Mal im Jahr erscheinen. Das Konzept ist ähnlich dem von UxxxxxXxxx, der Umfang des Magazins ist geringer.

Die Umsetzung von Sxxxxxxxx würde ich gerne mit Ihrem/Euren journalistischen Input leisten.  Dafür würde ich einige Beiträge gerne in der Zweitverwendung veröffentlichen und andere nach Bedarf auch neu beauftragen. Für die Zweitverwendung würde ich ein Honorar in Höhe von 10 % des UxxxxxXxxx-Honorars anbieten und für neu beautragte Beiträge bei den aus UxxxxxXxxx-bekannten Honorarsätzen bleiben. Die gleiche Regelung würde ich auch für die für Sxxxxxxxx beauftragten Beiträge wählen, wenn diese in UxxxxxXxxx veröffentlicht würden.

Was halten Sie/Ihr davon?

Über eine positive Rückmeldung würde ich mich sehr freuen

Beste Grüße

Xxxxxx Xxxxx

Redaktionsleiterin

XxX Verlag e.K.
Xxxxxxx-Xxxxx-Str. XX
5XXXX Lxxxxxxxxx
Germany
Tel. +49 (0)2XXXXXXXXX
Fax +49 (0)2XXXXXXXXX
mailto:xxxxxxx@xxx-xxxxxx.xx

Meine Antwort:

Liebe Frau Xxxxx,

da Sie mir außerordentlich sympathisch sind und ich davon ausgehe, dass diese denkwürdige “10%-Idee” nicht von Ihnen stammt, nehmen Sie die folgenden Bemerkungen bitte nicht persönlich, sondern leiten Sie sie einfach weiter an den/die Verantwortlichen in Ihrem Hause:

Sie fragen, was ich davon halte, meine Beiträge für Sxxxxxxxx als “Zweitverwertung” für 10 % des XxxxxxXxxx-Honorars zu verkaufen. Ich habe im ersten Moment nur gelacht angesichts der XxxxxxXxxx-Honorare, die ja ohnehin schon niedriger sind als jede mir bekannte Zweitverwertungsmöglichkeit. Denn nirgends wird man für eine Erstverwertung mit 100-200 Euro “entlohnt”. 10 % von diesen Preisen bedeutet dann ein Honorar von 10-20 Euro oder so für eine komplette Story, und für ein Foto gibts dann noch 2,50 bzw. in meinem Fall 5 Euro… Eigentlich ist Ihr Ansinnen ein Fall für DJV und ver.di sowie für diverse Social Media Kanäle! Denn diese Preise sind nichts anderes als pure Ausbeutung. Zumal es sich bei Ihren Zeitschriften um Kundenzeitschriften handelt, die normalerweise immer sehr viel besser honorieren als normale Tageszeitungen o.ä. Oder ist es beim XxX-Verlag sogar schon soweit gekommen, dass man aus der Bedürftigkeit mancher Journalisten ein Geschäftsmodell entwickelt hat? Frei nach dem Motto: “Irgendein armes Schwein wird es schon für ein Almosen machen!” ???

Ich nehme diese Anfrage zum Anlass, meine Zusammenarbeit mit Ihrem Hause umgehend zu beenden! Dies betrifft meine Autorenschaft genauso wie meine Bemühungen, dem Verlag neue Werbekunden zuzuführen. Angesichts von Preisen von 20.000 Euro für ein paar Seiten Advertorial oder “Special” ist Ihre geplante Honorierung freier Mitarbeiter eine einzige Frechheit, um nicht zu sagen: ein Schlag ins Gesicht und das Ende jeder beruflicher und kollegialer Wertschätzung!

Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Gutowski

Die Redaktionsleiterin antwortete heute:

Lieber Herr Gutowski,

ich bin sehr froh, dass Sie mir das nicht persönlich zur Last legen. Denn die Einstellungen zur Honorierung der Journalisten gehen hier sehr stark auseinander.

Ich finde es sehr schade, dass Sie unsere Zusammenarbeit als beendet sehen, kann es aber gut verstehen.

Ich hoffe, dass wir vielleicht an anderer Stelle nochmal zusammen kommen und wünsche Ihnen alles Gute

Viele Grüße

Xxxxxx Xxxxx

 

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